Forum
Zitation: Spiegel, Simon et al. »Forum Game of Thrones«.
Zeitschrift für
Fantastikforschung
8.1 (2020): 1–36. DOI: https://doi.org/10.16995/
z.3018.
Erstveröentlichung: 14. August 2020
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Spiegel, Simon et al. »Forum Game of Thrones«.
Zeitschrift für Fantastikforschung
8.1 (2020):
1–36.
DOI: https://doi.org/10.16995/z.3018.
FORUM
Forum Game of Thrones
Simon Spiegel
1
, Daniel Illger
2
, Sabrina Mittermeier
3
,
Michael Baumann
4
, Manuela Kalbermatten
5
and Elke Brüns
6
1
Universität Zürich, CH
2
Freie Universität Berlin, DE
3
Universität Augsburg, DE
4
Ludwig-Maximilians-Universität München, DE
5
Goethe-Universität Frankfurt, DE
6
NYU Berlin, DE
Corresponding author: Simon Spiegel (simon@similm.ch)
Forum on Game of Thrones.
Spiegel et al: Forum Game of Thrones2
Die Sehnsucht nach dem Wunderbaren
Simon Spiegel
Universität Zürich, CH
simon@similm.ch
Ein kollektives Aufatmen ging durch die sozialen Medien, als HBO am 19. Mai 2019
The Iron Throne (S08e06. US 2019, Regie: David Benioff und D. B. Weiss) ausstrahlte.
Nicht etwa, weil die letzte Folge von Game of ThroneS (GoT, US 2011–2019, Idee:
David Benioff und D. B. Weiss) so überragend war, weil das Ende so befriedigend
ausfiel, sondern schlicht, weil es nun schließlich da war. Endlich war genug, endlich
musste man sich nicht mehr im Wochentakt darüber aufregen, dass es die Macher
der Serie innerhalb von drei Staffeln fertig gebracht hatten, aus den höchsten Höhen
der Massenunterhaltung in ungeahnte Tiefen der erzählerischen Schlamperei
abzustürzen.
Dass der Abschluss von GoT gründlich misslungen ist, dürften nur wenige
bestreiten. Warum dem so ist, darüber wurde schon viel gesagt und dürfte in den
kommenden Jahren wohl noch mehr geschrieben werden. Es ist auch ein Thema,
das sich durch die Beiträge des Forums zieht. So unterschiedlich die Texte ausgefal-
len sind, und obwohl Sabrina Mittermeier in ihrem Beitrag argumentiert, dass das
transmediale Phänomen Game of Thrones längst größer ist als die Fernsehserie glei-
chen Namens, wird mit Ausnahme des Artikels von Elke Brüns, der den Ursprüngen
der untoten Figuren in der Serie nachgeht, bei allen AutorInnen mehr oder weniger
deutlich die Enttäuschung über ein Werk spürbar, das ab einem gewissen Punkt den
selbst gesetzten Qualitätsstandards nicht mehr genügen konnte.
Für FantastikforscherInnen, zumal für solche, die sich mit audiovisuellen Werken
beschäftigen, ist das keine neue Erfahrung. Sei es STar Trek, STar WarS, Dr. Who, LoST,
Harry Potter oder eine andere der in den Feldern SF und Fantasy besonders belieb-
ten Endlosserien – darüber zu klagen dass es nicht mehr so ist, wie es früher einmal
war, dass das goldene Zeitalter vorüber ist, ist unter Fans jeder Couleur beliebt. Das
besondere Etwas, das ursprünglich den Reiz der Serie ausgemacht hat, ist verschwun-
den. Der primär im Kontext der SF bemühte Begriff des Sense of Wonder bezeichnet
es wohl am besten. Sense of Wonder meint den Moment erhebender und erhabener
Spiegel et al: Forum Game of Thrones 3
Verzückung, wenn das Werk mehr wird als ›bloß‹ ein Roman, ein Film oder eine Serie,
wenn es zu einem prägenden affektiven Erlebnis wird – darin dem ähnlich, was J.
R. R. Tolkien in seinem programmatischen Essay »On Fairy-Stories« als Enchantment
bezeichnet.
Es ist diese ursprüngliche ›wundersame Verzauberung‹, die der Fan wieder und
wieder zu erleben wünscht, die aber nur begrenzt oft wiederholbar ist. Nicht nur
handelt es sich bei Sense of Wonder und Enchantment ihrem Wesen nach um typische
Adoleszenz-Phänomene – Fan wird man in der Regel als Teenager, wenn man darum
bemüht ist, sich seine eigene Welt auf den Trümmern der Kindheit zu errichten,
und nicht als Mitdreißiger oder noch später, wenn man sich bereits mehr oder weni-
ger behaglich im Leben eingerichtet hat. Auch ist Enchantment bei Tolkien eng mit
Recovery verbunden. Wenn wir aus der verzauberten Sphäre der Faerie in die reale
Welt zurückkehren, ist unser Blick neu für deren zauberhafte Qualitäten geschärft.
Mit dem Zusammenspiel von Enchantment und Recovery beschreibt Tolkien ein
Wirkungsprinzip, das deutliche Parallelen zum Konzept der kognitiven Verfremdung
aufweist, das Darko Suvin in seiner Poetik der Science Fiction entwickelt. Zweifellos gibt
es große Unterschiede zwischen den beiden Autoren: Suvin, der weder vom Sense of
Wonder noch von Fantasy viel hält, geht es darum, die Gegenwart kritisch – was bei ihm
marxistisch-materialistisch bedeutet – zu durchleuchten, während Tolkiens Wieder-
Verzauberung darauf abzielt, das Wirken Gottes in der Welt erfahrbar zu machen.
Beide Autoren gehen aber davon aus, dass uns das Eintauchen in die verzauberten
bzw. verfremdeten Welten der Fiktion einen frischen Blick auf die Realität ermöglicht
und uns für ihr wahres Wesen empfänglich macht (wobei sich ihre Ansichten darüber,
wodurch sich dieses wahre Wesen auszeichnet, diametral gegenüberstehen).
Es ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich, das Ostranenie-Konzept des
russischen Formalisten Viktor Šklovskij zum Vergleich heranzuziehen. In seinem
wegweisenden Aufsatz »Die Kunst als Verfahren« von 1916 entwickelt Šklovskij
das Konzept der Ostranenie (wörtlich: »Seltsammachen«), das in seinen Augen die
wesentliche Aufgabe von Kunst bezeichnet: Die Verfremdung des Bekannten und als
dessen Folge des Aufbrechen unserer automatisierten Wahrnehmung. Indem Kunst
sich ungewohnter Bilder und neuer darstellerischer Verfahren bedient, lässt sie uns
das vermeintlich Bekannte neu sehen.
Spiegel et al: Forum Game of Thrones4
Šklovskijs Ostranenie wird meist als modernistisch-subversives Verfahren ver-
standen, das den Status quo in Frage stellt; dies dürfte auch der Grund sein, weshalb
sich Suvin darauf beruft. Allerdings geht er nie wirklich auf Šklovskijs Ansatz ein;
sein zentraler Bezugspunkt bildet die Brecht’sche Verfremdungstheorie, die explizi-
ter didaktisch und politisch ausgerichtet ist. Tatsächlich enthält Šklovskijs Denken
einen ausgesprochen konservativen Zug, der Tolkien weitaus mehr entspricht als
Suvin. Wenn Šklovskij schreibt, dass es die Aufgabe von Kunst sei, »das Empfinden
des Lebens wiederherzustellen, um die Dinge zu fühlen, um den Stein steinern zu
machen« (15), dann klingt das sehr ähnlich wie bei Tolkien: »We should look at green
again, and be startled anew (but not blinded) by blue and yellow and red« (146).
Es geht also in beiden Fällen darum, ›die Welt neu zu sehen‹. Aber wie oft ist das
möglich? Folgt man Šklovskij, dann wird jede ursprünglich verfremdend wirkende
Kunstform früher oder später kanonisiert, büßt ihre Verfremdungswirkung ein und
muss, um wieder neu zu erscheinen, ihrerseits verfremdet werden. Die Geschichte
der Kunst erscheint in dieser etwas mechanistischen Vorstellung als ständige
Abfolge von Verfremdung, Erstarrung und erneuter Verfremdung. Die ursprüngliche
Verzauberung kann nie sehr lange Bestand haben.
Was ich damit auf etwas umständliche Weise zum Ausdruck bringen will, ist,
dass die Enttäuschung darüber, dass das Objekt der fannischen Begeisterung seine
verzaubernde Wirkungskraft verliert, dass sich der Sense of Wonder mit fortschreiten-
dem Alter immer seltener einstellt, bis zu einem gewissen Grad unvermeidbar ist.
Neue Verzauberung setzt immer wieder neue künstlerische Verfahren voraus, die
konsequent gedacht heute außerhalb von avantgardistisch-experimentellen Formen
kaum noch möglich sind und für populäre Erzählformen wie GoT somit keine echte
Option darstellen.
Wie Daniel Illger in seinem Beitrag ausführt, dürfte der Faktor der Zeit ein
wesentlicher Grund sein, weshalb die Qualität von GoT so stark nachließ; ebenso der
von Manuela Kalbermatten beschriebene Wechsel von sozial zu abstammungsmäßig
definierten Figuren. In der Perspektive Šklovskijs sind diese Aspekte im Grunde aber
nur Symptome einer tiefer liegenden Gesetzmäßigkeit. Weil Enchantment nicht
beliebig oft neu entstehen kann, ist Ernüchterung unvermeidlich. Die Folge ist
Sehnsucht nach einer Zeit, in der Verzauberung noch möglich war.
Spiegel et al: Forum Game of Thrones 5
Nicht umsonst schreiben John Tulloch und Henry Jenkins in ihrer Studie Science
Fiction Audiences, einem der Gründungstexte der Fan Studies, dass Fans regelmäßig
von einem goldenen Zeitalter sprechen. »Golden Ages are times – usually in the fans’
past, often transmitted before they were fans – when communication between pro-
ducers, fans and audiences were perceived as transparent and true« (169). Diese Ära
der ungebrochenen Verzauberung, von Enchantment und Sense of Wonder, ist immer
schon Vergangenheit, die nur im sehnsüchtigen Rückblick zugänglich ist. Im Grunde
ein sehr Tolkien’scher Gedanke.
Nun sind WissenschaftlerInnen ja nicht identisch mit Fans. Zwar hat insbeson-
dere Jenkins schon früh das Konzept des Aca-Fans, des Fans, der auch Wissenschaftler
ist – und umgekehrt –, propagiert bzw. vorgelebt, insbesondere an deutschsprachi-
gen Universitäten tut man sich aber nach wie vor schwer mit diesem Gedanken.
Wissenschaft, so die gängige Vorstellung, muss um größtmögliche Objektivität
bemüht sein, setzt kühl distanzierte Analyse voraus. Schwärmerische Begeisterung
ist dagegen fehl am Platz, zeugt von mangelnder Wissenschaftlichkeit und Unreife.
Völlig abwegig ist diese Haltung natürlich nicht. Die Fähigkeit, die eigene Reaktion
auf ein Kunstwerk kritisch zu reflektieren, ist Voraussetzung jeder wissenschaftli-
chen Auseinandersetzung. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht auch möglich ist
oder sogar nötig sein kann, sich die Begeisterung für den Untersuchungsgegenstand
zu bewahren (dass es eine Reihe von Fragestellungen und Perspektiven gibt, bei
denen die eigenen Vorlieben wenig bis keine Relevanz besitzen, ist ebenfalls richtig).
In einem 2009 erschienenen Artikel zur Fernsehserie LoST (US 2004–2010,
Idee: J. J. Abrams, Jeffrey Lieber und Damon Lindelof) plädiert Jason Mittell für
einen »evaluative criticism« (122), eine wissenschaftliche Herangehensweise, die vor
Qualitätsurteilen nicht zurückschreckt, die den persönlichen Geschmack nicht ver-
leugnet. Für ihn steht fest: »We simply cannot pretend that our own taste and evalua-
tion do not matter« (ebd.). Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Mittell dieses
Credo im Zusammenhang mit LoST formuliert, einer Serie, bei der sich in den Augen
vieler ein ähnlicher Qualitätsniedergang beobachten ließ wie bei GoT.
Obwohl ich Mittell in seiner Begeisterung für LoST (die auch bei ihm später deut-
lich nachließ) nie folgen konnte, stimme ich ihm in diesem Punkt vollumfänglich
zu. Die Forderung, den eigenen Geschmack auszublenden und sich um jeden Preis
Spiegel et al: Forum Game of Thrones6
um eine vermeintlich objektiv-nüchterne Haltung zu bemühen, scheint mir falsch
verstandene Wissenschaftlichkeit. Sie ist die Kehrseite jener nervtötenden Frage, die
sich FilmwissenschaftlerInnen immer wieder anhören müssen: Ob man angesichts
all des theoretischen Wissens Filme überhaupt noch genießen könne (eine Frage,
die nebenbei gesagt, LiteraturwissenschaftlerInnen viel seltener gestellt werden
dürfte). Meine Antwort lautet in beiden Fällen gleich: Wieso sollte ich mein Leben
der Erforschung von Filmen widmen, wenn mir das Medium nicht immer wieder
Momente puren Glücks verschaffen würde? Und wie trostlos wäre eine Wissenschaft,
die denen, die sie praktizieren, die Freude an ihrem Gegenstand austreiben würde?
Im ZFF-Forum ermutigen wir die AutorInnen ganz bewusst zu freieren Formen.
Essayistische und auch mal polemische Texte wie jener Michael Baumanns sind
ausdrücklich erwünscht. Diese Offenheit mag ein Grund dafür sein, dass die Mehrheit
der BeiträgerInnen aus ihrem Herz keine Mördergrube macht und ihren Unmut über
das enttäuschende Ende von GoT deutlich artikuliert. Wahrscheinlich liegt es aber vor
allem daran, dass sich auch die BeiträgerInnen zu Beginn von der Serie verzaubern
ließen. Der analytischen Schärfe der Texte tut dies keinen Abbruch. Ob man es nun
Sense of Wonder oder Enchantment nennt – um einen Gegenstand zu erkennen und
wirklich zu durchringen, kann Begeisterung eben sehr wohl hilfreich sein. Selbst
wenn es am Ende nur enttäuschte Begeisterung sein sollte.
Autor
PD Dr. Simon Spiegel ist wissenschaftlicher Adjunkt am Seminar für Film-
wissenschaft der Universität Zürich im Forschungsprojekt ERC Advanced Grant
FilmColors. Forschungsschwerpunkte: Science-Fiction-Film, utopischer Film,
Phantastiktheorie, Genretheorie. Ausgewählte Publikationen: Utopia and Reality.
Documentary, Activism and Imagined Worlds (Mitherausgeber, 2020), Bilder einer
besseren Welt. Die Utopie im nichtktionalen Film (2019); Theoretisch phantastisch:
Eine Einführung in Tzvetan Todorovs Theorie der phantastischen Literatur (2010);
Die Konstitution des Wunderbaren: Zu einer Poetik des Science-Fiction-Films (2007).
www.simifilm.ch.
Spiegel et al: Forum Game of Thrones 7
Das Spiel ist aus. Über das unvermeidliche Scheitern von Game
of Thrones
Daniel Illger
Freie Universität Berlin, DE
daniel.illger@fu-berlin.de
Aus heutiger Sicht erscheint es schwer vorstellbar, doch anfangs war keineswegs
ausgemacht, dass GoT nicht ein krachender Misserfolg werden würde. In den Jahren
vor der Ausstrahlung der ersten Folge am 17. April 2011, als sich die Gerüchte, dass
George R. R. Martins Romanzyklus A Song of Ice and Fire von HBO adaptiert wer-
den würde, zur Gewissheit verdichteten, glaubte kaum jemand daran, dass David
Benioff und D. B. Weiss die Möglichkeit bekommen würden, die ganze Geschichte
des Kampfes um den Eisernen Thron zu erzählen. Ein, zwei Staffeln GoT sind bes-
ser als überhaupt keine – so eine Einschätzung, die damals häufig zu hören
war.
Aber wer hätte gedacht, dass es so kommen würde, wie es am Ende gekommen
ist: Dass sich also unzählige Leser und Zuschauerinnen nach Ablauf der achten
und letzten Staffel von GoT wünschen würden, dass Benioff und Weiss darauf ver-
zichtet hätten, die Geschichte um die Starks, die Targaryens und die Lannisters zu
Ende zu erzählen; oder dass sie es irgendwie ganz anders getan hätten. Wie lässt
sich das erklären? Jener Umschlag von hochgespannter Erwartung zu bitterster
Enttäuschung mag damit zusammenhängen, dass die Fernsehserie als populärkul-
tureller Heilsbringer unserer Gegenwart unter einem Anspruch an Sinnstiftung
ächzt, dem sie selbst unter den günstigsten Umständen kaum genügen kann. Im
Fall einer Serie wie GoT, die zig Millionen Menschen weltweit zu einer Gemeinschaft
von Bangenden, Hoffenden, Liebenden und Hassenden verbindet, nimmt dieser
Anspruch mitunter quasi-religiöse Züge an. Darum ist es vielleicht unvermeidlich,
dass ein Ende, in dem sich alles erfüllen soll (was immer unter diesem »alles« zu
verstehen ist), bei beträchtlichen Teilen der Zuschauerschaft ein Gefühl hinterlässt,
das dem Gegenteil von Erfüllung gleicht. Hinzu kommt freilich, dass die letzte Staffel
von GoT eine ganze Reihe schwerwiegender bis desaströser handwerklicher Fehler
Spiegel et al: Forum Game of Thrones8
aufweist, vor allem, was Figurenentwicklung, Handlungslogik und Dramaturgie
betrifft.
Vielversprechender als die Frage, wie inkompetent, dilettantisch, gewissen- und
verantwortungslos Benioff und Weiss am Ende vorgegangen sein mögen, scheint
mir allerdings der Versuch, eine poetologische Perspektive einzunehmen; das heißt,
darüber nachzudenken, ob etwas an dem Genre Fantasy selbst zum Scheitern von
GoT beigetragen haben könnte; einem kuriosen Scheitern übrigens, insofern es
im Fall dieser Serie ja einherging mit einem Erklimmen der höchsten Gipfel des
kommerziellen und künstlerischen Erfolgs, wenn letzterer anhand der institutionel-
len Anerkennung (sprich, der Emmys) bemessen wird.
Bekanntlich ist J. R. R. Tolkien der Meinung, dass die wahren Märchen strengge-
nommen überhaupt kein Ende kennen würden. Nun wird der Essay, in dem Tolkien
diese Ansicht entwickelt – »On Fairy-Stories« (1939/47) – die längste Zeit schon
als Versuch einer poetologischen Selbstverständigung des Autors von The Lord of
the Rings (1954–55) gedeutet, mithin auf die Fantasy als Genre bezogen. Und tat-
sächlich: The Road goes ever on and on – im Zusammenhang mit der Fantasy ist das
als Verheißung zu verstehen, als Versprechen an die Leserinnen, Zuschauer und
Spielerinnen, dass hinter jedem Baum und Strauch, hinter jeder Wegbiegung, auf
jedem Hügel und in jedem Waldstück, in jeder einsamen Ruine und jeder dunklen
Höhle eine weitere Geschichte, ein weiteres Abenteuer wartet. Meines Erachtens
macht diese Verheißung einen Gutteil der Faszination aus, den das Genre Fantasy zu
entfalten vermag; an der Frage, ob es einem Werk gelingt, das Versprechen eines nie
endenden, potentiell unendlich erweiterbaren Erzählraums als Kunsterfahrung zu
realisieren, entscheidet sich darum (maßgeblich, wenngleich nicht ausschließlich),
ob das entsprechende Werk als gelungene Fantasy gelten kann.
Mindestens bis zur siebten Staffel war GoT eine Serie, die sich hervorragend dar-
auf verstand, das Versprechen der Fantasy im Medium der Fernsehserie zu realisie-
ren. Zweifellos ist dies nicht zuletzt der künstlerischen Meisterschaft von Martins
Romanen zu verdanken, die die Freude an der Fantasy zu entfachen verstehen wie
wenig anderes, was seit der Verfestigung des Genres als populärkulturelle Formation
geschrieben worden ist. Benioff und Weiss konnten also auf ein höchst elaboriertes
Spiegel et al: Forum Game of Thrones 9
Worldbuilding zurückgreifen, als sie sich anschickten, A Song of Ice and Fire neu zu
erfinden: auf Schauplätze mit historischer und kultureller Tiefe, auf ein vielköpfiges,
überaus faszinierendes Figurenpersonal, auf ebenso komplexe wie präzise konstru-
ierte Handlungsfigurationen. Dass ändert jedoch nichts daran, dass GoT einer audio-
visuellen Idee bedurfte, um als Serie zu funktionieren. Diese Idee besteht (wiederum:
maßgeblich, nicht ausschließlich) in einer bestimmten Form von ästhetischer
Zeitlichkeit. Die Zuschauerinnen und Zuschauer erfahren sie zunächst als unausge-
setzte Erweiterung des Erzählraums: Immer neue Figuren treten hinzu, immer neue
Konflikte entwickeln sich, immer neue Örtlichkeiten werden erschlossen. Wichtiger
aber ist noch, dass diese sukzessive Auffaltung einer Welt – die sich, wie gesagt,
über viele Staffeln hinzog und schier endlose Möglichkeiten bereitzuhalten schien
– in der Zeitlichkeit der Seherfahrung mit einer scheinbar ebenso unbegrenzten
Kombinatorik kinematografischer Modalitäten einherging.
Zuvörderst wird dies an der Gestaltung der Schauplätze greifbar, die, was vor
allem in den ersten Staffeln fast überdeutlich wird, bestimmte Raumkonzepte mit
einer entsprechenden Farbkodierung verbinden: So steht der in düsteren Erdfarben
gehaltenen Freiheit und Weite des Nordens, Heimstatt des tragischen Heroismus,
die klaustrophobisch-verwinkelte Intrigenenge von King’s Landing, beherrscht von
Gelb-, Rot- und Ockertönen, entgegen. Ein vergleichbares Prinzip prägt GoT aber
auch auf anderen Ebenen: Wer sich eben noch, vor allem in Szenen mit Tyrion, Varys
oder Cersei, einer nuancierten Schauspielkunst erfreuen durfte, sieht sich plötzlich
dem vergnügten Knallchargentum der Sand Vipers ausgesetzt. Ebenso verbinden
sich in den verschiedenen Handlungssträngen klare affektpoetische Kalkulationen
mit entsprechenden Inszenierungsprinzipien: Im (über manchen Fall hinweg) sich
vollziehenden Aufstieg von Jon Snow ist ein episches Heldentum gestaltet, das
im Kampf mit überkommenen Ideen von Sozietät die Herausbildung einer neuen
Gemeinschaft ermöglicht und dabei verschiedene Räume in Besitz nimmt und ver-
wandelt; scharf kontrastiert wird dies etwa mit der als grausames psychologisches
Kammerspiel inszenierten Transformation von Theon Greyjoy zu Reek, aus der
schließlich, einhergehend mit einer räumlichen Öffnung, eine neue Individualität
entsteht. Sehr oft findet eine derartige Dynamik konfligierender Modalitäten ihren
Spiegel et al: Forum Game of Thrones10
Austragungsort auf der Mikroebene einzelner Szenen. Bereits in der ersten Folge
der ersten Staffel wechselt GoT innerhalb weniger Minuten von einer durchaus ver-
störenden Exploitation-Poetik (die Vergewaltigung von Daenarys durch Khal Drogo
ereignet sich vor einer mit allen Ingredienzen des romantischen Naturschönen
ausgestatteten Kulisse) zu Reminiszenzen an Sexklamotten der 1970er- und 1980er-
Jahre (wenn Jamie Lannister seinem Bruder Tyrion gleich mehrere Prostituierte
zuführt, damit dieser sich rechtzeitig zum abendlichen Festmahl einfinden kann) zur
Evokation des melancholischen Pathos der verlorenen Zeit (das Gespräch zwischen
König Robert und Eddard Stark in der Familiengruft von Winterfell).
Aus produktionsästhetischer Perspektive mag sich eine solche Kombinatorik
aus der Notwendigkeit ergeben, ein überaus vielschichtiges Handlungsgefüge im
Format etwa einstündiger Folgen erzählbar zu machen; ebenso mag es sein, dass
die Serienmacher mitunter schlicht versuchten, die Not in eine Tugend zu verwan-
deln – wenn etwa der Trash-Faktor der Sand Vipers nicht kaschiert, sondern immer
mehr ausinszeniert wird. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Dynamik
konfligierender audiovisueller Modalitäten, als welche sich die Auffaltung der Welt
von GoT darstellt, für die Zuschauerinnen und Zuschauer eine bestimmte Zeitlichkeit
der Seherfahrung ermöglicht. Zum einen ist es die Zeit, in der sich die Verheißung
der Fantasy immer wieder erneuert: im audiovisuellen Westeros ist der Geschichten
wahrlich kein Ende, und zwar vor allem darum nicht, weil die vielen großen und
kleinen Geschichten sich mit den verschiedensten, kontrastierenden und mitun-
ter auch widerstreitenden affektiven Adressierungen verbinden; was so weit geht,
dass man über eine Szene müde lächeln mag – so wie über einen schlechten Scherz
des Barden in der Schenke –, nur um im nächsten Moment gerührt, erschüttert,
schockiert, mitgerissen zu sein; und dies eben auch als Effekt einer künstlerischen
Begeisterung, die mit dem Ärger oder dem Amüsement über das wenige Szenen
zuvor konstatierte schlechte Handwerk in ein ganz eigenes Spannungsverhältnis
tritt. GoT erhebt dieses Changieren, diese Pluralität der Adressierungen, Modalitäten
und in ihrer Gemachtheit ausgestellten Macharten zum Kompositionsprinzip, zur
ästhetischen Signatur, zur audiovisuellen Interpretation der grundlegenden Idee des
Genres Fantasy.
Spiegel et al: Forum Game of Thrones 11
Für die letzte Staffel jedoch wird all das zum Problem, was zuvor den Genuss der
Zuschauerinnen und Zuschauer immer wieder gesteigert hat – oder zumindest dafür
sorgte, dass die Gefahr, sich mit GoT zu langweilen, soweit als möglich minimiert
wurde. Zum einen betrifft dies die, offensichtlich unausweichliche, Verkehrung
der affektpoetischen und dramaturgischen Richtung: Nicht mehr Öffnung und
Erweiterung sind an der Tagesordnung; vielmehr ist eine Bewegung der Schließung
und Verengung notwendig, um den Kampf um den Eisernen Thron ebenso wie die
Handlungsstränge um die wichtigsten Haupt- und Nebenfiguren zu einem Ende zu
führen. Und das betrifft eben nicht nur Handlung und Figuren, sondern auch die
audiovisuellen Modalitäten. Deren Vielfalt sorgte zuvor dafür, dass GoT, bei aller
Düsternis und Grausamkeit, doch auch etwas Verspieltes und ästhetisch Buntes
beibehielt. Aber das Ende eines Fantasy-Epos verlangt eben nach einem hohen,
strengen und sehr unironischen Pathos, wenn es sich nicht selbst desavouieren will.
Schließlich geht es, kurz gesagt, um alles: das Schicksal der Welt, den Anbeginn eines
neuen Zeitalters und, des Gebrochenen sämtlicher Wertigkeiten zum Trotz, immer
auch um Gut und Böse.
Wer aber eine Pathetik realisieren will, welche die Wucht des historisch-politi-
schen ebenso wie metaphysischen Ernstfalls entfaltet, muss alles auf eine Karte set-
zen. Bei GoT verbindet sich das künstlerische Risiko einer solchen Pathetik wiederum
mit der Gestaltung einer Zeitlichkeit. Infrage steht, ob es der einsinnigen Zeitlichkeit
jener finalen Schließung gelingt, der zuvor etablierten, modal pluralen Zeitlichkeit
der Öffnung standzuhalten. Das zielt auf die Figuren, und es zielt auf etwas, das man
die Dauer der Katastrophe nennen könnte.
Hier nun erweist es sich, dass die Schließungsbewegung, die notwendig mit dem
Zu-Ende-Bringen einhergeht, den Genuss, der die Seherfahrung zuvor geprägt hat, in
hohem Maße beschädigt. Gerade die Kombinatorik der verschiedenen audiovisuel-
len Modalitäten und affektiven Adressierungen erlaubte es den Zuschauerinnen und
Zuschauern, die Figuren über die Dauer vieler Stunden (in der Seherfahrung) und
manchen Jahres (im gelebten Leben) immer besser kennenzulernen, sie immer mehr
als Vertraute wahrzunehmen, als Freunde oder Feinde, Objekte der Sehnsucht oder
des Abscheus – denn man hat sie begleitet, durch all diese Situationen hindurch, das
Spiegel et al: Forum Game of Thrones12
Komische, das Tragische, das Bittere, das Triumphale, das Abgeschmackte und das
Großartige; durch dick und dünn sozusagen.
Für die letzte Staffel von GoT bedeutet dies, dass das Verhältnis nicht mehr stimmt,
was die Zeitlichkeiten betrifft, insofern die Figurenentwicklungen durchgeführt wer-
den, die die Schließungsbewegung zum Ende hin verlangt. Am krassesten ist dieser
Widerspruch zweifellos bei Daenerys. Man muss keine besondere Zuneigung für die
Figur der Drachenmutter hegen, um zu sehen: die Daenerys, die über sieben Staffeln
und Dutzende Folgen hinweg aufgebaut wurde, kann nicht innerhalb einer Stunde
komplett umgepolt werden. Der Umpolung nämlich fehlt die Erfahrungsschwere;
das heißt, sie kommt nicht an gegen die Erfahrung der Zuschauer, verbleibt eine
Behauptung, die aufgrund eines allzu durchsichtigen narrativen Kalküls aufgestellt
werden muss. Noch die eindrücklichsten Bilder, die sich mit Daenerys’ Niedergang
verbinden – etwa jenes des hilflosen und verzweifelten Tyrion, der die rauchenden
Ruinen von King’s Landing abschreitet –, wirken irgendwie hohl, weil sie sich einer
Seherfahrung, ja in gewisser Weise einer Lebenserfahrung aufoktroyieren, die Jahre
des Mitfühlens und Mitdenkens in die Waagschale werfen kann. Das Problem der
letzten Staffel ist so gesehen weniger eines von Handlung und Dénouement per se,
als von zeitlichen Verhältnissen.
Beinah parodistisch wird dieses Missverhältnis, wenn es um das geht, was ich
die Dauer der Katastrophe genannt habe. Der Krieg gegen den Night King und die
Others konzentriert sich auf die The LonG nIGhT (S08E03. US 2019, Regie: Michael
Sapochnik) betitelte dritte Folge der achten Staffel. Diese Folge hat eine Laufzeit
von über 80 Minuten, ist also in der Tat ziemlich lang für die Verhältnisse einer
Fernsehserie. Dennoch wirkt sie geradezu lächerlich kurz, wenn man bedenkt,
dass das Kommen des Winters – und aller Schrecken, die Kälte und Dunkelheit
mit sich führen – über sieben Staffeln hinweg als die ultimative metaphysische
Drohung aufgebaut worden ist. Selbst wenn die dramaturgischen und handlungs-
logischen Verrenkungen der entsprechenden Folge weniger peinlich ausgefallen
wären, als es nun mal der Fall ist, müsste der Sieg über die Others in Anbetracht
dieser erfahrungsästhetischen Schieflage antiklimaktisch, das Ende des Night King
läppisch wirken.
Spiegel et al: Forum Game of Thrones 13
Vor diesem Hintergrund scheint mir das Scheitern der letzten Staffel von GoT
unvermeidlich. Natürlich stellt sich die Frage: Wie lange müsste die lange Nacht
des Winters sein, und was müsste alles in ihr geschehen, damit sie die grausige
Verheißung erfüllen kann, die sich über sieben Jahre hinweg mit ihr verbunden hat?
Vielleicht würde das Finale von GoT weit überzeugender wirken, wenn Benioff und
Weiss das Wagnis unternommen hätten – die ökonomische und produktionslogische
Wahrscheinlichkeit dieser Lösung sei dahingestellt –, es auf zwei oder drei Staffeln
auszudehnen.
Gegen eine Art der Zeiterfahrung hätten sie allerdings in keinem Fall ankommen
können: Jene, die sich mit dem Zauber des Anfangs verbindet, und es als beglücken-
des Wunder erlebt, dass ein Sender wie HBO eine Serie wie GoT produziert; und dass
es eine solche Serie tatsächlich auf mehr als eine Staffel bringt.
Autor
Daniel Illger studierte Filmwissenschaft, Allgemeine und Vergleichende Literatur-
wissenschaft sowie Philosophie in Berlin und Münster. Von 2007 bis 2010 war er
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich Ȁsthetische Erfahrung
im Zeichen der Entgrenzung der Künste« der Freien Universität Berlin und von 2011
bis 2014 Projektkoordinator am Exzellenzcluster »Languages of Emotion«. Nach drei
Jahren als freier Schriftsteller hat er von 2017 bis 2019 an der Kollegforschungs-
gruppe Cinepoetics – Poetologien audiovisueller Bilder gearbeitet; seit dem Winter-
semester 2019/20 vertritt er eine W3-Professur am Seminar für Filmwissenschaft
der FU Berlin. Er hat zu den Stadtinszenierungen des italienischen Nachkriegskinos
promoviert und mit einer Studie zum Fantasy-Modus im Videospiel habilitiert; bei
Klett-Cotta erschien die Skargat-Trilogie (Stuttgart 2015–2017).
Spiegel et al: Forum Game of Thrones14
Game of Thrones und transmediales Erzählen
Sabrina Mittermeier
Universität Augsburg, DE
Kritische Auseinandersetzungen mit Literaturverfilmungen, ob akademische Ana-
lysen oder vor allem Medienrezensionen, stellen nach wie vor die Frage nach der
Treue zur Vorlage in den Mittelpunkt. Das Buch wird hierbei als ›Originaltext‹ einge-
stuft, dem es zu folgen gilt, und die allgemeine Annahme scheint zu sein, dass eine
Verfilmung dessen nur dann gelungen ist, wenn sie diesem möglichst genau folgt.
Auch Game of ThroneS wurde immer wieder durch diese Linse betrachtet, und die
TV-Serie für ihre getreue Umsetzung von George R. R. Martins Romanen gelobt – bis
sie auf ein nahezu einzigartiges Problem stieß: Martins Werk war nicht vollendet,
und doch sollte die Verfilmung nach acht Staffeln beim amerikanischen Privatsen-
der HBO zum Abschluss kommen. Bereits zuvor hatte sich die Serie immer mehr
inhaltliche Freiheiten genommen, doch das Finale, das im Mai 2019 ausgestrahlt
wurde, war nun notgedrungen eine Eigenkreation der Drehbuchautor*innen, allen
voran der Showrunner David Benioff und D. B. Weiss. Die gesamte achte und letzte
Staffel wurde kontrovers diskutiert, sowohl von Journalist*innen, als auch in den
sozialen Medien, und das Finale trat schlussendlich einen regelrechten Shitstorm
los. Die Serie hatte stets ein internationales Millionenpublikum, das nun in großen
Teilen verärgert über Benioff and Weiss’ narrative Entscheidungen war. Während
solche Reaktionen nun kein Einzelfall sind, man denke nur an LoST oder hoW I
meT Your moTher (US 2005–2014, Idee: Carter Bays und Craig Thomas), so ist doch
bemerkenswert, welche Wellen dies schlug: sogar eine Online-Petition auf Change.
org wurde ins Leben gerufen, die derzeit (Stand: 15. November 2019) knapp 1,8
Millionen Unterschriften sammeln konnte. »Remake Game of ThroneS with compe-
tent writers« fordert deren Ersteller Dylan D. bereits im Titel und beklagt sich in
der Beschreibung: »David Benioff and D. B. Weiss have proven themselves to be
woefully incompetent writers when they have no source material (i. e. the books) to
fall back on« (Change.org). Und hier liegt nun auch die Krux der Sache: zentral für
Spiegel et al: Forum Game of Thrones 15
das unzufriedenstellende Finale, das hier als Scheitern der Serie eingestuft wird, ist
für diesen Teil des Fandoms einzig allein die Abwesenheit des Autors George R. R.
Martin.
Ohne hier nun eine tiefergehende Diskussion über die Qualität der
Serienautor*innen oder Martins Prosa führen zu wollen, muss doch gesagt werden,
dass es mehr als bemerkenswert ist, wenn auch leider nicht einzigartig, dass im Jahre
2019 anscheinend nach wie vor der Genius eines einzelnen Autors als Gütesiegel
verstanden wird. Was Game of Thrones aber dennoch zu einem Sonderfall macht,
ist, dass diese Saga schließlich zwei Enden haben wird, die beide als kanonisch ein-
gestuft werden können. Sobald Martin seine Romane zu einem ›offiziellen‹ Ende
bringt, das, wie er bereits angedeutet hatte, wohl ein anderes sein wird als das
ebenso ›offizielle‹ der Fernsehserie – und er wohl auch auf Grund der Umstände
kaum eine andere Wahl haben wird –, gibt es nun zwei Antworten darauf, wer am
Ende den Eisernen Thron in Westeros besteigt. Wie Zoe Shacklock anmerkt, macht
allein diese Tatsache Game of Thrones schon zu einem Paradebeispiel transmedialer
Erzählung nach Jenkins, da sie auf zwei verschiedenen Medienformen parallel läuft
(vgl. 265) – und man damit nun eigentlich auch sowohl von den Romanen als auch
(zumindest den späteren Staffeln) der Serie von einem »original« oder »parent« Text
sprechen kann.
Genauer gesagt sind es auf Grund der Popularität der Serie nun seit geraumer
Zeit schon weit mehr als zwei verschiedene Medienformen, mit deren Hilfe Game of
Thrones erzählt wird. So erscheinen beispielsweise seit September 2011, und damit
wohl nicht ganz zufällig seit dem Jahr, in dem auch die TV-Serie Premiere hatte,
Graphic Novels, die sich zwar inhaltlich auch nah an die Romanvorlage halten, aber
ebenso wie die Serie auf Grund des visuellen Mediums, einiges an Plot raffen und
anders aufarbeiten müssen. Im Gegensatz zur Fernsehserie scheint die Fortsetzung
der Reihe hier jedoch nun auf Martins nächsten Roman zu warten, und nicht eben-
falls ein eigenes Ende erzählen zu wollen – und doch schaffen die Autoren der Reihe
(Texter Daniel Abrahams, Illustrator Tommy Patterson und Kolorist Ivan Nunes) ihre
eigene Version von Westeros und sind damit ein weiteres Puzzlestück im großen
Ganzen.
Spiegel et al: Forum Game of Thrones16
Noch Jahre bevor HBO die Saga zum weltweiten Phänomen machte, erschienen
bei Fantasy Flight sowohl Brett- als auch Kartenspiele, die einen wiederum ganz ande-
ren Zugang ermöglichen – im Falle des Brettspiels (in erster Edition 2003 erschie-
nen) schlüpft man als Spieler*in beispielsweise in die Rolle eines der Häuser, die
um den Eisernen Thron kämpfen. Dabei transferiert das Spiel die Welt der Intrigen,
die die treibende Kraft der Romanerzählung darstellt, und über Illustrationen auf
Karten auch zentrale Charaktere (die damit einmal mehr im wahrsten Sinne des
Wortes anders gezeichnet werden) auf relativ simple Weise. So ist es auch möglich,
als Spieler aktiv am Worldbuilding teilzunehmen, denn Ziel des Spiels ist es natür-
lich, den Thron einzunehmen, und somit werden auch hier alternative narrative
Varianten aufgezeigt.
Andere noch viel direkter immersive Medien haben sich auch dem Stoff ange-
nommen. Im Bereich der digitalen Spiele erschien 2014 ein von Telltale Games
entwickeltes episodisches GoT-Adventure, das inhaltlich direkt an das Finale der
dritten Staffel der Serie anschloss und dann parallel zur vierten Staffel lief. Das
Spiel konzentriert sich jedoch auf das Haus Forrester, das in der Serie nie eingeführt
wurde, und trägt so auch weiter maßgeblich zum Worldbuilding bei. Interessant
ist hier außerdem, dass sich das Spiel auch visuell direkt an der Serie orientiert,
und dadurch, anders als bei Graphic Novel oder Brettspiel, direkt auch jene Fans
abholen will, die eventuell nie die Bücher gelesen haben. Zudem werden die
bekannten Charaktere von den Schauspieler*innen der TV-Serie gesprochen und
tragen so zusätzlich zu einem authentischen, und damit immersiven Erlebnis bei
(vgl. Bolter und Grusin 172).
Angesichts dieses immer größer werdenden Angebots ist es nicht verwunderlich,
dass die Medienwissenschaftlerin Marie-Laure Ryan etwas zynisch angemerkt hat,
dass transmediales Erzählen der Versuch ist, Fans dazu anzuhalten, möglichst viele
Produkte zu konsumieren (vgl. 384). Ganz falsch ist die Aussage hier natürlich nicht –
vor allem, wenn man die massiven Marketingkampagnen von HBO rund um die Serie
bedenkt, sowie die immer größer werdende Menge an lizensierten Merchandise-
Artikeln. Jedoch sollte man auch diese Erzeugnisse nicht einfach außen vor lassen,
wenn man sich mit dem Phänomen Game of Thrones (oder anderen transmedialen
Spiegel et al: Forum Game of Thrones 17
Franchises) auseinandersetzt, und sie als reines Produkt unserer spätkapitalistischen
Gesellschaft abtun: wie Jonathan Gray zurecht bemerkt hat, können auch diese als
Paratexte verstanden werden, die eine nicht unbedeutende sozio-kulturelle Rolle
spielen (vgl. 222).
Immersives Teilhaben an transmedialem Erzählen wie das von Game of Thrones
wird immer wichtiger – Jenkins merkt richtig an, dass es sogar ganz zentral auf die
aktive Beteiligung seines Publikums baut. Dies ist auch deutlich erkennbar an der
Menge an nicht lizensierten, nicht kommerziellen Werken, die sich mit Westeros und
seinen Bewohner*innen auseinandersetzt. Fanon, nicht Kanon, ist auch bei Game
of Thrones ein wesentlicher Bestandteil des Erfolgs: auf der bekannten Fanfiction-
Plattform Archive of our Own finden sich derzeit (Stand: 16. November 2019) über
37 000 Geschichten, Game-of-Thrones-Cosplay ist seit einigen Jahren fester Bestandteil
von Conventions, und unzählige Memes kursieren im Internet. Während mancher
sich also per Online-Petition seinem Unmut über das Serienfinale Luft macht, haben
viele andere schon lange ihr eigenes Ende geschrieben – oder beschäftigen sich mit
ganz anderen Aspekten dieses Universums.
Selbst wenn der Hype um die Serie in den Medien in den vergangenen Monaten
zurückgegangen ist, wird es wohl doch trotz der umstrittenen letzten Serienstaffel
keinen größeren Einbruch in der Popularität geben, da das Phänomen einfach
schon lange größer ist als nur ein erzählerisches Medium. Fan-Tourismus zu den
Drehorten erfreut sich beispielsweise seit einigen Jahren größter Beliebtheit – ob
nach Nordirland, das als Schauplatz für die Iron Islands diente, oder nach Dubrovnik,
Kroatien (Westeros’ Hauptstadt King’s Landing); die Tourismusindustrie profitiert
nach wie vor von Game of Thrones (vgl. Goldstein). Es bleibt wohl auch nur eine
Frage der Zeit, bis sich auch andere immersive Medien bzw. Touristenziele wie
Themenparks dem Phänomen annehmen oder weitere Serien oder Filme produziert
werden. Ein ursprünglich geplantes Prequel wurde zwar gerade erst auf Eis gelegt
(vgl. McCluskey), aber in Zeiten, in denen nach weniger als 20 Jahren bereits eine
Neuverfilmung von LorD of The rInGS (NZ/US 2001–2003, Regie: Peter Jackson) in
Arbeit ist, wäre es doch mehr als verwunderlich, wenn nicht auch bald mehr GoT
über unsere Bildschirme flimmern würde. Und wenn es dann doch das Remake ist,
Spiegel et al: Forum Game of Thrones18
auf das die Verfechter von Martins Romanen pochen – sollte er sie zu Lebzeiten noch
zu Ende schreiben.
Autorin
Dr. Sabrina Mittermeier (Universität Augsburg) hat an der LMU München in ameri-
kanischer Kulturgeschichte promoviert. Ihre Monographie A Cultural History of the
Disneyland Theme Parks – Middle-Class Kingdoms erscheint im Oktober 2020 bei
Intellect und University of Chicago Press. Sie ist außerdem Mitherausgeberin von
Fighting for the Future – Essays on Star Trek: Discovery (Liverpool University Press
2020) und des Routledge Handbook to Star Trek (2021) sowie mehrerer anderer
Artikel zu Themenparks, Film und Fernsehen der amerikanischen, aber auch deut-
schen oder britischen Populärkultur. Außerdem ist sie Vorsitzende der German
Popular Culture Studies Association (GPCA).
Spiegel et al: Forum Game of Thrones 19
Wie Butter, auf zu viel Brot verstrichen
Michael Baumann
Ludwig-Maximilians-Universität München, DE
baumann.83@gmx.de
Unter dem Titel-Zitat »Ihre Güte hat mich verwöhnt« erschien 2009, herausgegeben
von Christiana Engelmann, eine Edition der Bitt- und Bettelbriefe Friedrich Schillers.
Der große Dichter, der bekanntlich in der Schaubühne eine moralische Anstalt zu
sehen geruhte, war sich nicht zu schade, in solch schön gesetzten Worten um ein
»Sopha« und andere ihm (in der Tat: äußerst) dringend nötige Hausratsgegenstände
zu bitten. Da Vincis L’Ultima Cena war eine Auftragsarbeit für Ludovico Sforza –
Dedikationen künstlerischer Werke an Personen von Rang und Namen waren seit
der Antike stets ein beliebtes Mittel von Autoren, sich Protektion und – im landläu-
figen wie im literalen Sinne – Honorar zu verschaffen. Einem Förderer von Kunst
gelang es gar, sich in allen Förderern von Kunst fortan namentlich zu spiegeln: Gaius
Maecenas hat sich als Mäzen in den Sprachschatz eingeschrieben. Die vielzitierten
Anfangsverse des frühen Schatzes deutscher Sprach- und Literaturwissenschaft
erfüllen geradezu vorbildlich das, was von einem jeden Klappentext verlangt wird:
Alte Geschichten und unerhörte Ereignisse, mutige Helden und ihre Taten, ausgelas-
sene Fröhlichkeit auf Festen ebenso wie Weinen und Klagen – die Kämpfe kühner
Recken um wunderschöne Frauen, und viele Todesfälle dürfen auch nicht fehlen: So
kündet das Nibelungenlied in den ersten beiden Strophen (zumindest nach Hand-
schrift C) mit Sex and Crime, Action and Suspense an, was den Leser erwartet – oder
eben ursprünglich wohl mehr den Hörer, den der Vortragende schon in den ers-
ten Worten zu fesseln hatte, wenn er seine Kunst erfolgreich zu Markte tragen
und einen angemessenen Obolus für seinen Vortrag erlangen wollte. Eine völlig
un repräsentative und en passant durchgeführte vergleichende Studie aktueller
Fantasy-Klappentexte durch den Verfasser dieser Zeilen ergab, dass sich inhaltlich
seit dem Nibelungenlied an den Anforderungen der Buchwerbung wenig geändert
hat. Kunst hat sich immer verkauft – auch wenn hier das Renaissancemäzenatentum
und die Marketingstrategien heutiger Verleger sicher zu Unrecht in einen Topf
Spiegel et al: Forum Game of Thrones20
geworfen werden –, und die Forderung nach ›reiner Kunst‹, die sich den Niederungen
des Kommerzes unter keinen Umständen hinzugeben habe, ist nicht nur historisch
gesehen absurd, sondern erinnert ein wenig an die Empörung des reichen Touristen
auf der Suche nach dem Urtümlichen, dem der Einheimische das Verharren in
ästhetischer pittoresker Armut verweigert und stattdessen auch, zu Ungunsten des
gesuchten ›Originalen‹, seinen Honig aus dem touristischen Interesse saugt.
Ein Essay wie dieser lässt schon von der Form her große Freiheiten, die der wis-
senschaftliche Aufsatz nicht gewährt – seien wir daher frei und reisen auch wir als
Urlauber umher! Unter den Touristen gibt es jedoch mancherlei Unterarten – verhal-
ten wir uns hier also standesgemäß als Kulturreisende gehobenen Anspruchs, wenn
wir auf die Reise nach Westeros aufbrechen, klemmen uns den doppelsinnig vielsei-
tigen Baedeker unter den Arm, wappnen unsere Bauchtaschen als Literatur-, Film-,
Spiel-, Sozial- und Kulturwissenschaftler mit Wissen, Methoden und Perspektiven
und ziehen von dannen. Bestaunen wir zunächst das gewaltige, wenn auch noch
unvollendete Schriftwerk George R. R. Martins, das auf weiter Flur vor uns liegt:
Hier diese prachtvollen Ruinen, deren Reliefs von profunder Kenntnis nordischer
Mythologie zeugen. Doch jene Säule scheint den alten Griechen, diese Sphinx den
Ägyptern, dort das Basrelief dem längst vergangenen Uruk entlehnt zu sein, und far
over yonder hat das Keltentum sich eingeschnitzt. Mächtige Ströme, fließend aus
den Shakespear’schen Bergen am Horizont, tragen dramatisch fruchtbaren Schlamm
an die mittelalterlichen Ufer und befruchten die feudalen Dynastien. Historisch
rankend, wachsen rote und weiße Rosen daraus hervor und bedecken anmutig
die königlichen Lande, zumindest solange sie kein märchenhaftes Drachenfeuer
niederbrennt, kein dem Horror entlehnter halbskelettierter Zombiefuß sie nieder-
tritt. Doch wohlgefügt erscheint uns – zumindest den meisten –, was wir sehen:
Das eklektische Füllhorn ist mit Bedacht und von Meisterhand gestaltet worden, mit
künstlerischem Anspruch und ästhetischem Gewinn fügen sich die Teile zueinander,
und die stilistischen Ergänzungen aus des Meisters Hand – wie steht’s im Baedeker:
»Fokalisierung über multiple Figurenperspektiven vermählt narrativ das Zitat des
alten Epos mit der individualisierten Perspektivierung der Postmoderne«, oder
doch so ähnlich. Themenkreise wie Macht, Religion, Mythos wollen durchdrungen
Spiegel et al: Forum Game of Thrones 21
werden, um das kulturelle Artefakt zu verstehen – sicher, die Bildungsreisegruppe
der Feuilletonfreunde da hinter uns ahnt auch dunkel etwas davon, das stand ja
auch schon in der Zeitung, aber mit dem profunden Wissensschatz eines vorberei-
tenden Studiums kann deren sichtlich bemühter Reiseleiter nun doch nicht mithal-
ten. Aber sie mühen sich, wir wollen das loben. Es ist doch schön, wenn die Kunst
nicht nur rein, sondern auch dem Auge der Masse, der gehobenen, zugänglich sei,
so wie George R. R. Martin das großartig beherrscht – nein, ein elitärer Kunstbegriff
ist unsere Sache nicht, den Begriff des Trivialen lehnen wir ab, das schreibt ja auch
der Baedeker so, zumindest seit den letzten Jahrzehnten. In einem großherzigen Akt
wollen wir den Willen für das Werk gelten lassen und auch jene Kunstbeobachter uns
Kunstverstehern angeglichen wissen (zumindest bis zum Rückflug).
Richten wir also gemeinsam den mehr (oder minder) geschulten Blick auf die
dornische Wüste, über deren sengend heißem Sand sich nun Luftspiegelungen des
großen Werkes flimmernd darbieten: Und sehet, die Buchstaben formen sich zu lau-
fenden Bildern, GoT setzt das Sujet als Fernsehserie um. Wieder sind es die meisten
von uns, denen im Großen und Ganzen zusagt, was sie da sehen: Ein Kunstwerk
eigenen Ranges, anders als das Buch – und das ist gut so. Scheu fragt der eine oder
andere aus der Feuilleton-Gruppe, ob denn nicht das Original …? Nein, so erklären
wir – nicht scharf abkanzelnd, nur ganz milde dozierend –, nein, es handle sich
hier nicht um Verfälschung, Verwässerung und Klitterung, sondern um Inter- und
Transmedialität. Das stehe übrigens auch so im Baedeker. Kunst darf, kann und muss
das! Größtenteils überzeugt – das stand ja auch schon so ähnlich in der Zeitung
– folgt uns die Feuilleton-Gruppe, zumal wir die Argumentation ja auch noch auf
den Heckenritter-Band sowie das gewaltige fiktive Geschichtsbuch The World of Ice
and Fire stützen können. Neue Luftspiegelungen werden in unser freundlich-beleh-
rendes Geplauder integriert: Auch Computerspiele, die sich an der transmedialen
GoT-Welt anlehnen, fallen unter diesen Kunstbegriff – und das ganz zurecht. Wo
kämen wir da hin, wenn die Transmedialität nur einige Medien als Kunst gelten ließe,
andere hingegen nicht? Im Lichte dieses festen Wissens, den Kunstledereinband des
Baedekers sanft streichelnd, schreiten wir auf unserem Weg dahin, mit etwas schnel-
lerem Schritt vorbei an Game of Thrones – Das Kochbuch und Game of Thrones – das
Spiegel et al: Forum Game of Thrones22
Ausmalbuch für Erwachsene, und die Frage aus den hinteren Reihen der Feuilleton-
Gruppe, ob denn der Kunstbegriff auch die Kaffeetasse …? – vielleicht wurden ihre
sanften Schallwellen von den Winden des Winters verweht, jedenfalls haben wir
sie nicht gehört. Und die fröhlich-meckernde Stimme eines grün kostümierten Mel
Brooks, die uns ein triumphierendes »Merchandising!« aus den 1990er-Jahren ins
Ohr rufen will, auch die haben wir nicht gehört.
Ach, sieh da – eine dritte Gruppe von Touristen ist eingetroffen: Eventtouristen.
Kaffeetassen und Kühlschrankmagneten, Schwerter und Umhänge, T-Shirts der
Great Houses und Buttons von Conventions kennzeichnen sie als Fans. Fanatiker.
Ohne Baedeker, ohne Feuilleton, ohne Reiseleiter, ohne Plan und doch mit freudi-
gem Gejohle, bereit, sich in alle Teile dieser Transmedialität zu stürzen, in dieser
Welt aufzugehen. Und auch ihnen wird etwas geboten: Neonbunte Spruchbänder,
Ansagen vom Megaphon stimmen die Schlachtenbummler seit Jahren ein: »Emilia
Clarke beim Friseur … der GoT-Kaffeetassenuntersetzer, exklusiv bei … George R. R.
Martin verschiebt erneut … Kit Harrington in Irland gesichtet … die zehn größten GoT-
Irrtümer … 30% mehr CGI in Staffel … wann kommt der Cleganebowl … reist zu den
Drehorten von … Rose Leslie exklusiv im Interview … das GoT-Kaffeetassenuntersetzer-
unterlegdeckchen limitiert auf …«. Endlich werden die Schranken geöffnet, die Fans
stürmen das Panorama – und da gefällt vielen nicht mehr, was sie sehen! Der nach
außen am weitesten sichtbare Teil der transmedialen Welt, die vielfach preisgekrönte
Serie GoT, erfüllt die Erwartungen nicht. Ein gewisser Dylan D. fordert – und fast
schon zwei Millionen folgen ihm nach – ein anderes Ende! Die Drehbuchautoren
seien inkompetent, ohne Buchvorlage sei es ihnen nicht möglich, ein gutes Ende zu
finden. Was will der freche Kerl? Sangria in 5-Liter-Eimern? Da wendet sich der Gast
mit Grausen – Wissenschaftler wie auch Bildungsbürger fliehen vor so viel pöbel-
haftem Unverstand, der einen veralteten Kunstbegriff um den Geniekult des Autors
pflegt, und streben schnell nach Hause.
Links das Regal der in der realen Welt wieder auf zahlreiche Einzelwerke verteilten
Bücher, die zusammen soeben noch fiktiv der Baedeker waren, rechts die Kaffeetasse
Spiegel et al: Forum Game of Thrones 23
mit dem Aufdruck »Hodor Hodor! (Hodor)«: Zurück am Schreibtisch, zurück aus dem
Urlaub. Was gibt es noch zu sagen?
Natürlich kann man heute nicht mehr den »Geniekult« des einen, einzigen
Autors pflegen. Das ist auch kein Dünkel, das ist ganz einfach der Stand der
Wissenschaft.
Natürlich kann auch eine Kaffeetasse, ganz frei von Ironie, Kunst sein,
ebenso wie Suppendosen und Fettecken. Natürlich sind Spiele und Filme
nicht sklavisch gebunden an ein Original – und das Recht, hier als Kunst
frei wirken zu dürfen, ohne sich einem Diktat (und sei es ›nur‹ das der
öffentlichen Meinung) unterwerfen zu müssen, muss verteidigt werden,
auch und gerade von der Wissenschaft.
– Ebenso natürlich muss es aber erlaubt sein, ein schlechtes – ästhetisch
und handwerklich ungenügendes, ethisch fragwürdiges oder banales –
Kunstwerk als solches zu benennen. Das können Wissenschaftler wie auch
Laien tun. Die Petition des Dylan D. ist hier nicht sonderlich ausführlich,
aber die Frage darf gestellt werden, ob eine von vielen Fans empfunde-
ne Unzulänglichkeit nicht auch etwas damit zu tun haben könnte, dass
eine Vorlage fehlt, die – nicht weil sie originaler, nicht weil sie geschrie-
benes Wort, sondern einfach, weil sie bessere Kunst ist – die vorherigen
Staffeln als Kunstwerk gehoben hat. Natürlich mögen hier auch andere
nicht-künstlerische Faktoren wie die ökonomische Beschränkung auf eine
bestimmte Anzahl Filmminuten eine Rolle spielen.
Soweit, so banal – das eigentliche (historisch auch keineswegs beispiellose)
Skandalon liegt ja nicht in der Existenz von knapper oder ausführlicher,
begründeter oder unbegründeter Kritik, sondern in der Forderung, das
Kunstwerk zu korrigieren.
A Song of Ice and Fire ist Kunst, GoT ebenso – und Kunst darf diese For-
derung als ungeheuerliche Zumutung ablehnen. Dass diese Forderung
erhoben wird, kann aber nicht verwundern. Kunst hat sich schon immer
verkauft, ja – doch selten wurde sie so konsequent vermarktet und dem Fan
Spiegel et al: Forum Game of Thrones24
als Produkt, als Event, als Lebensinhalt verkauft und auf ihn zugeschnitten.
Der Kunde, der ein schadhaftes Produkt reklamiert und – schön juristisch:
– Wandel verlangt, hat dieses Recht. Kunst wurde gemacht – wurde auch
Kunst verkauft, oder aber eine Ware? Der Verfasser dieser Zeilen möchte
nicht der Richter sein, der das zu entscheiden hätte. Er ist aber, zwischen
Baedeker und Kaffeetasse, der Meinung, dass Kunst da war – nur eben,
wie ein Hobbit einst am Ende seiner Kraft sagte, »like butter scraped over
too much bread«. Über Dylan D. und seine Follower zu spotten (was die
Feuilletons ebenso wie die Fachartikel der Wissenschaft, wenn auch nicht
unisono, getan haben), ist wie die Kunst wohlfeil – doch teuer sind des
Kaisers neue Kleider.
Autor
Michael Baumann M.A. promoviert in Neuerer Deutscher Literatur an der
Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Bereich der Fantastik beschäftigt
er sich vor allem mit ideologischen Dimensionen der Fantasy und ist Mitheraus-
geber des Sammelbandes Die Welt von Game of Thrones. Kulturwissenschaftliche
Perspektiven auf George R.R. Martins »A Song of Ice and Fire«, Transcript Verlag,
Bielefeld 2016.
Spiegel et al: Forum Game of Thrones 25
»Cocks
are
important, I’m afraid« Geschlechterpolitische
(Fehl)Entscheidungen im
Game-of-Thrones
-Universum
Manuela Kalbermatten
Goethe-Universität Frankfurt, DE
kalberma[email protected]frankfurt.de
Ob sie gewillt sei, in den Krieg zu ziehen, fragt Daenerys »Stormborn« Targaryen,
Khaleesi der Dothraki, Mutter der Drachen und rechtmäßige Königin von Westeros
die junge Dienerin Missandei, die sie an der Sklavenkünste von Essos mitsamt einer
riesigen Armee von Sklavensoldaten erwirbt und nach Westeros führen will, um den
Eisernen Thron zu erobern. Auf dem Weg, so Daenerys weiter, könnte Missandei
hungern, erkranken, gar getötet werden. »Valar Morghulis«, erwidert Missandei, ein
valyrisches Sprichwort, das so viel bedeutet wie: »Alle Menschen müssen sterben.«
Daenerys kontert: »Yes, all men must die. But we are not men« (S03E03: WaLk of
PunIShmenT. US 2013, Regie: David Benioff).
Das Wortspiel, das den unmarkierten ›Normalfall‹ – Mensch = Mann – für ein-
mal zugunsten des markierten ›Spezialfalls‹ – Frau = das Andere – auslegt, fasst
die Parameter der Geschlechterpolitik im transmedialen Universum von Game of
Thrones recht akkurat zusammen. Zwar gehören Frauen sowohl in George R. R.
Martins Roman-Serie A Song of Ice and Fire als auch in der HBO-Adaption zu den
gefährdetsten, zu den am intensivsten unter den Machtspielen der herrschenden
Elite leidenden und in Alltag wie Krieg am brutalsten ausgebeuteten Subjekten.
Oft wird ihnen der Subjektstatus per se verwehrt, werden sie als Spielball und
Spielzeug der Lords und Könige, als Tauschware in ihren Geschäften gehan-
delt. Auf diskursiver Ebene dagegen werden die vielen Frauenfiguren des GoT-
Universums nicht nur als vielschichtige, sondern auch als ehrgeizige, aktive und
handlungsmächtige Subjekte inszeniert; als Individuen, die sich aus ihrer Position
als ›Underdogs‹ einer ultrapatriarchalen Gesellschaft zu machtvollen Agentinnen
des Wandels entwickeln. Der einzige Konsens, den die mittlerweile beachtli-
che Forschungsliteratur zur Verhandlung von Weiblichkeit und Geschlecht in
GoT erzielt hat, lautet denn auch, dass die Repräsentation unterschiedlichster,
Spiegel et al: Forum Game of Thrones26
komplexer Frauenfiguren eine, wenn nicht die zentrale Innovation der Serie
darstelle und ihren größten Reiz ausmache.
Darüber hinaus aber ist – nicht nur – die Geschlechterforschung gespalten in der
Frage, wie es um den subversiven bzw. feministischen Gehalt der Serie bestellt sei.
»Are they [die weiblichen Figuren, MK] feminist characters, or a perversion of femi-
nism?«, fassen Rikke Schubart und Anne Gjelsvik in der Einleitung ihrer Anthologie
Women of Ice and Fire die Fragen und Statements von Rezipient*innen, feministi-
schen Blogger*innen und Wissenschaftler*innen zusammen.
Is this postfeminist entertainment for a neoliberal age? Is it a backlash
dressed up in prefeminist medieval clothes […]? Or is Martin a feminist, as he
claims, and these women, then, the role models in a complex and conflic-
ted contemporary world that has abandoned utopian illusions and in which
fantasy is transformed from light to dark and from the ethically simple to
conflicted? (2)
Bereits das zweifelhafte Kompliment in der GoT-Parodie des parodistischen You-
Tube-Channels The Key of Awesome, nämlich: »This show is Lord of the Rings, but
with Titties Galore«, verweist darauf, dass Sichtbarkeit gerade aus feministischer
Perspektive stets eine ambivalente Größe ist. Auf der einen Seite hat die häufige,
oft als objektivierend und narrativ unmotiviert wahrgenommene Darstellung ent-
blößter Frauenkörper in der Serie nicht zu Unrecht den Begriff der »sexposition«
(McNutt) geprägt; auf der anderen Seite sind sich Fans wie Kritiker*innen einig, dass
GoT nicht nur mit dem bis heute wohl eindrücklichsten weiblichen Figurenarse-
nal erfolgreicher Fantasy-Medienverbundssysteme aufwartet (die LorD of-The-rInGS-
Blockbuster der 2000er-Jahre hatten gerade mal drei weibliche Nebenfiguren zu
bieten), sondern auch mit einer Kritik an Sexismus und sexualisierter Gewalt, die
man in der kommerziell erfolgreichen Fantasy so scharf artikuliert nur selten findet.
Dabei wandelt insbesondere die TV-Serie auf einem schmalen Grat. Wo zum Beispiel
verläuft die Grenze zwischen einer kritischen Thematisierung sexueller Gewalt auf
dem Bildschirm und ihrer Ästhetisierung zum Zweck voyeuristischer Unterhaltung?
Oder die Grenze zwischen einer ermächtigenden Repräsentation weiblichen Begeh-
Spiegel et al: Forum Game of Thrones 27
rens und einer objektivierenden Darstellung des Frauenkörpers, die sich nach wie
vor am ›männlichen Blick‹ orientiert? Sind ›starke‹ Frauen wie Daenerys Targaryen
und Cersei Lannister, die wesentlich von ihrem ›erotischen Kapital‹ Gebrauch
machen, als feministische Ikonen zu bezeichnen, weil sie ›Agency‹ unter widrigsten
Bedingungen beweisen und sich nicht zum ›Opfer‹ machen lassen – oder handelt
es sich um Symbole einer postfeministisch-neoliberalen Meritokratie, die individu-
alisierte Erfolgsgeschichten durchsetzungsstarker Einzelkämpfer*innen zelebriert
zugunsten von kollektiver Sozialkritik?
Gerade diese Ambivalenz nicht nur in der Darstellung von Weiblichkeit, sondern
auch in der Verhandlung verschiedener Geschlechterdiskurse und (post-)feministi-
scher Positionen lässt sich aber auch als Stärke der Serie lesen. Sie erlaubt unter-
schiedliche, auch widersprüchliche Lesarten und Identifikationen; sie macht das
GoT-Universum zu einem Forum kultureller Selbstverständigung, einem Ort, an dem
Bedeutung laufend erstritten und verhandelt werden muss. »Rather than futilely
debating their relative feminist worth, […] we need to concern ourselves with how
these texts make such debates possible« (13), schreibt Jacinda Read im Rahmen ihrer
Analyse filmischer Rape-Revenge-Fantasien. In genau diesem Sinne konstruiert auch
das GoT-Universum nicht nur eine Vielzahl an Bildern weiblicher Identität – es bietet
auch eine exzellente Bühne für die unterschiedlichsten Positionen eines vielgestalti-
gen und oft widersprüchlichen gegenwärtigen Geschlechterdiskurses.
Bis, tja, zum Finale. In den letzten Episoden ist Schluss mit der schillern-
den Mehrdeutigkeit einer Saga, die, was ihre Figuren betrifft, dem Erzählen von
Biographien im Rahmen kultureller Verhältnisse stets den Vorrang vor einfachen
Erklärungen gegeben hatte. Daenerys dreht durch und legt mit ihrem letzten
Drachen ganz King’s Landing in Schutt und Asche – notabene nachdem die Stadt
kapituliert hatte. Sie tritt damit in die Fußstapfen ihres vom Wahnsinn gezeichne-
ten Vaters, der von »Fire and Blood« geträumt und dessen Paranoia zu Folter, Krieg
und schließlich zur Ermordung und Vertreibung der Targaryens geführt hatte. Das
größte Problem dieser Wendung liegt vielleicht gar nicht darin, dass sie überstürzt
erscheint und narrativ wie psychologisch nicht ausreichend nachvollziehbar gemacht
wurde. Irritierend erscheint vor allem der Entscheid, eine komplexe Figur radikal
Spiegel et al: Forum Game of Thrones28
zu essentialisieren. Wie fast alle weiblichen Figuren der Serie stand Daenerys für
die Idee, dass Identität sozial geprägt, aber nicht determiniert, dass sie fluide und
wandelbar sei. Die Entwicklung eines zu politischen Zwecken verkauften, versklav-
ten und vergewaltigten Mädchens zur Tyrannin ließe sich angesichts von Daenerys’
Leidens- wie Erfolgsgeschichte durchaus glaubwürdig erzählen; Ansätze dazu finden
sich in Buch- und Fernsehserie. Umso irritierender ist es, das Massaker kurzerhand als
Ergebnis einer genetischen Veranlagung zu erklären. Und es zum Anlass zu nehmen,
die weibliche Hauptfigur der Serie recht fix und unspektakulär vom moralisch stand-
festen John Snow ermorden zu lassen. Der wiederum erscheint in all seiner Tragik als
Ebenbild und Erbe seines über alle Zweifel erhabenen Onkels und Ziehvaters Lord
Eddard Stark, der Gewalt verabscheut, sie aber einsetzt, um Gerechtigkeit zu erwirken.
Sein Sohn Bran wird als neuer Herrscher Westeros in eine bessere Zukunft führen.
Die Essentialisierung der Figuren in der finalen Schlacht erlaubt es also nicht nur,
eine besonders ambitionierte Frau vom Thron zu stoßen, noch ehe sie ihn bestiegen
hat – sie legitimiert auch die Restauration einer konservativen Geschlechterordnung.
Dass Macht korrumpiert, demonstriert die Serie immer wieder (am Schluss recht
platt, wenn Drache Drogon den Eisernen Thron vernichtet, anstatt Daenerys’ Mörder
zu töten). Besonders anfällig für ihre Versuchungen sind in GoT aber die Frauen.
Wir erinnern uns: Am Ende der sechsten Staffel sind alle zentralen Machtpositionen
in weiblicher Hand. Queen Cersei sitzt nach dem (von ihr verschuldeten) Suizid
ihres Sohnes als erste Frau auf dem Eisernen Thron; Yara/Asha befehligt die Eiserne
Flotte und verbündet sich mit der Drachenkönigin Daenerys, die in Westeros ange-
langt ist; Sansa Stark regiert als Lady von Winterfell den Norden; Arya beseitigt als
rächende Killerin die letzten Patriarchen. Sie alle werden als Figuren aufgebaut, die
Grund haben, an der patriarchalen Ordnung zu verzweifeln, die ihnen das Recht auf
Selbstbestimmung und Partizipation verwehrt; sie alle werden als Frauen gezeigt, wel-
che die Männer zu Recht auf ihrem angestammten Terrain herausfordern und ihnen
ihr ›Geburtsrecht‹ streitig machen – und sie alle werden auf die eine oder andere
Weise zum Schweigen gebracht. Cersei und Daenerys, die wie so viele Tyranninnen
gegenwärtiger Fantasy-, Märchen- und Science-Fiction-Filme als Spiegel und
Spiegel et al: Forum Game of Thrones 29
Schreckgespenst einer patriarchalen Gesellschaft in Erscheinung treten und dämo-
nisiert werden müssen, damit sie beseitigt werden können, sind tot. Arya, Yara und
Brienne, drei besonders autonome, in ihrer geschlechtlichen Codierung ambivalente
Frauen, sitzen während der Wahl des neuen Königs stumm im Hintergrund, während
die Männer ihre Voten abgeben. Sansa deklariert zwar ihre Unabhängigkeit und darf
– auf das gütige Nicken ihres zum König gewählten Bruders hin – als erste Königin
des Nordens den Thron besteigen. Aus dem politischen Einflussraum der sechs
Königreiche aber werden alle wichtigen Frauenfiguren auf effektive Weise entfernt.
Einzig Brienne bleibt als Quotenfrau dem Kleinen Rat des Königs erhalten. Die letzte
Sequenz zeigt sie beim Vervollständigen von Jaime Lannisters Eintrag im Buch der
Brüder, wo sie ihn posthum als Kapitän der Königsgarde würdigt.
Noch kurz vor Daenerys’ Amoklauf streiten sich Tyrion und Varys, ob sich John
Snow – alias Aegon Targaryen – nicht besser als König eignen würde als die unbe-
rechenbare Daenerys. Während sich Tyrion für Daenerys ausspricht, macht sich
Varys für John Snow stark (S08E04: The LaST of The STarkS. US 2019, Regie: David
Nutter). »He’s temperate. And measured«, begründet er. »He’s a man, which makes
him more appealing to the lords of Westeros, whose support we are going to need.«
»Joffrey was a man«, protestiert Tyrion. »I don’t think a cock is a true qualification,
as I’m sure you’d agree.« »And he’s the heir to the throne, yes, because he’s a man«,
fährt Varys unbeirrt fort und bilanziert: »Cocks are important, I’m afraid.« Sollte
es sich bei diesem Gespräch um eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit den
Genretraditionen, vor allem aber mit den Bedürfnissen und Rezeptionsgewohnheiten
eines Publikums handeln, auf dessen Support ein populärkulturelles Phänomen
wie das GoT-Universum angewiesen ist, dann bleibt zu fragen, ob das Publikum
hier nicht unterschätzt wurde. Ob es die Desartikulation aller (post)feministischen
Lesarten zugunsten einer traditionellen Interpretation und Repräsentation von
Geschlecht und Macht tatsächlich zu schätzen weiß. Die überwiegend negative
Rezeption der letzten Staffel spricht dagegen. Schwänze mögen weiterhin wichtig
sein. Eine Erfolgsgarantie oder gar ein Qualitätskriterium sind sie aber nicht mehr.
Dieser Winter ist vorbei.
Spiegel et al: Forum Game of Thrones30
Autorin
Manuela Kalbermatten ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Jugend-
buchforschung an der Goethe-Universität Frankfurt und schreibt in verschiedenen
Fachzeitschriften über Kinder- und Jugendliteratur. Sie ist Autorin der Monogra-
phien «Von nun an werden wir mitspielen» – Abenteurerinnen in der phantastischen
Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart und «The Match that Lights the Fire» –
Gesellschaft und Geschlecht in Future Fiction für Jugendliche.
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Unsere Anderen: Der Tödliche Norden in Game of Thrones
Elke Brüns
NYU Berlin, DE
elke.bruens@uni-greifswald.de
Im Hohen Norden von Westeros lebt oder besser: (ver)west der Schrecken. Der
Night King, seine White Walker und die in ihrem Gefolge marschierenden Wights
gehören nicht nur zu den furchteinflößendsten Wesen, sondern stellen auch die
existenziellste Bedrohung in GoT dar: Sie wollen die Menschheit eliminieren, sie
gilt es zu besiegen. Doch wer oder was sind sie genau, und was repräsentieren sie?
In den zahllosen Besprechungen der Serie wurden sie als Untote, Zombies,
Eiskreaturen, Wiedergänger und Eiszombies bezeichnet. Tatsächlich handelt es
sich mit Nachtkönig, Weißen Wanderern und Untoten aber um unterschiedliche
Figuren mit je eigenen Genealogien und Bildtraditionen. Zudem gibt es Differenzen
zwischen der literarischen Vorlage A Song of Ice and Fire und der Serie, die zudem
die Buchvorlage von George R. R. Martin ›überholte‹. Vielleicht liegen hier die
Gründe für das leicht unstimmige Bild, dass der Tödliche Norden imaginationslo-
gisch bietet?
Wer also sind diese Figuren, was wissen wir über sie am Ende der Serie und vor
dem Ende des Romanzyklus? In Martins Texten gibt es den Night King, so auch in der
Serie. Die White Walker werden hingegen im Zyklus auch als the Others, die Anderen,
tituliert: Diese Benennung wurde nicht übernommen, da man in Dialogen nicht
unterscheiden kann, wer gemeint ist: »Sind die Anderen/die anderen schon da?«
Diese Anderen führen die in den Büchern aus Wights bestehende Untotenarmee
an. In der Serie wird zumeist von den dead, den Toten gesprochen, die auferstan-
den seien. In den Besprechungen der Serie wurden diese nicht selten als Zombies
bezeichnet.
Zwar bedrohen all diese Kreaturen die Lebenden, doch sind sie deshalb schon
Tote oder Untote, gar Zombies? Die White Walker versteht Martin als andere
Spezies, wie er dem Zeichner Tommy Patterson anlässlich einer Comicadaption
erklärte: »Er beschrieb sie als seltsame, schöne Síde-ähnliche Kreaturen aus Eis, die
Spiegel et al: Forum Game of Thrones32
unmenschlich, elegant und gefährlich wären. Martin bestätigte hierbei ebenfalls,
dass die Weißen Wanderer keinesfalls ›Tote‹ seien, sondern einfach eine menschen-
fremde Lebensform« (Game of Thrones Wiki).
Das erste Buch des Zyklus – A Game of Thrones (1996) – beginnt mit einem
Rencontre zwischen Menschen und White Walker. Jenseits der Mauer treffen Brüder
der Nachtwache auf einige White Walker, es kommt zum Kampf, bei dem Will etwas
hört: »The Other said something in a language that Will did not know; his voice was
like the cracking of ice on a winter lake, and the words were mocking« (Martin 9).
Darauf aufbauend entwickelte David J. Peterson für die Serie Skroth als Sprache
der Anderen, sie kam allerdings nicht zum Einsatz. Der Tonmeister nahm das echte
Knistern von Eis.
Insbesondere als sprechende Wesen ähneln die White Walker den Menschen.
Dies gilt auch für den Nachtkönig, der ja in seinem, sagen wir: Vorleben, tatsächlich
ein Mensch war. In der Serie gibt es eine Rückschau zu seiner Genese. Sie vollzog
sich nach der Einwanderung der Ersten Menschen, die die Kinder des Waldes ver-
folgten und töteten. Bran sieht in einer Vision, wie Blatt einem gefangenen Ersten
Menschen einen Dolch aus Obsidian in das Herz schiebt: »It was you. You made the
White Walkers« (S06E05: The Door. US 2016, Regie: Jack Bender). Der Erste Andere
– entstanden in einem magischen Notwehrakt.
In Martins Begleitwerk Die Welt von Eis und Feuer wird die Vorgeschichte
detaillierter und anders beschrieben. Von einem Nachtkönig ist hier keine Rede.
Stattdessen schlossen die Kinder des Waldes und die Menschen erschöpft Frieden
und lebten fortan in getrennten Regionen. In der Langen Nacht fielen dann die
Weißen Wanderer in Westeros ein. Dieses Ereignis gehört zu den Schauergeschichten,
die in der Serie Kindern erzählt werden: »Sie fegten durch Städte und Königreiche,
ritten auf ihren toten Pferden, jagten mit ihren Meuten von fahlen Spinnen groß wie
Jagdhunde« (S01E03: LorD SnoW. US 2011, Regie: Brian Kirk), so die Alte Nan, Brans
Kinderfrau.
In der Serie ist der Nachtkönig der erste White Walker. Aber die ganze Untoten-
Armada jenseits der Mauer scheint unstimmig, nicht nur, weil sich der propere,
haarstilistisch leicht punkige Nachtkönig und die mumienhaften White Walker
Spiegel et al: Forum Game of Thrones 33
mit ihrem spät-hippieesken Haar-Look sich schon optisch sehr unterscheiden.
Tatsächlich kommt der Nachtkönig in den Büchern gar nicht bzw. nur als Legende
vor: Er sei ein Lord Kommandant der Nachtwache gewesen, der sich in eine blei-
che Frau mit blau leuchtenden Augen verliebte und seine Seele verlor. Nachdem sie
13 Jahre als König und Königin geherrscht und Untaten begangen hatten, wurden
sie schließlich von Brandon dem Zertrümmerer, König des Nordens, und Joramun,
König-jenseits-der-Mauer, besiegt. Offenbar hatte der Nachtkönig den Anderen
geopfert. Bruchstücke dieser Legende finden sich in der Serie: Opfer für die Anderen
bringt nun die Figur Craster in Form seiner neugeborenen Jungen. Und die Allianz
von Brandon und Joramun findet ihr Revival in der Verbindung von Jon Snow und
Tormund bzw. Westerosi und Wildlingen.
In Westeros: Die Welt von Eis und Feuer heißt es, dass die Anderen Tote zum Leben
erweckt hätten und für sich kämpfen ließen (12). Sind diese in die Serie übernom-
menen Untoten Zombies? Nein. Es fehlt das Moment der Ansteckung, denn diese
Untoten können keine anderen Untoten erschaffen, dies geschieht durch die White
Walker oder den Night King. Stattdessen verbindet sich das ältere Bild des haitiani-
schen Zombie-Mythos – rituelle Tötung durch einen Voodoo-Priester und nachfol-
gende Willenlosigkeit – mit Bildern organisierter Streitkräfte, in denen Gehorsam
herrscht. Auch repräsentieren sie keine gefräßigen, anarchischen Leichenmops,
wie sie seit George Romeros nIGhT auf The LIvInG DeaD (US 1968) stilbildend und
aktuell etwa in The WaLkInG DeaD (US 2011 –, Idee: Frank Darabont) unterwegs sind,
sondern eine disziplinierte, roboterhafte Armee. Sie sind das finstere Spiegelbild der
Söldnerarmeen der Serie.
Die Anderen in GoT sind uns nicht fremd, sondern als unsere dunklen
Spiegelbilder unheimlich bekannt (um hier mal Freud zu bemühen). Die Grundfigur
der Serie – die ignorierte und geleugnete Bedrohung der Menschheit – wurde
zur prophetischen Metapher für den ebenfalls geleugneten und menschheitsbe-
drohenden Klimawandel. Die Genese des Nachtkönigs als Resultat des Kampfes
zwischen Waldwesen und Menschen repräsentiert das Anthropozän: Wer nicht mit
der Natur leben kann, erschafft seinen eigenen Tod gleich mit. Die White Walker
sind Kriegsherren, die wie auch in unserer Welt den Tod für andere Lebewesen im
Spiegel et al: Forum Game of Thrones34
Schlepptau haben. Weitere fantastische Aufklärungen über unsere Welt dann hof-
fentlich im (Stand: November 2019) geplanten Spin-Off The LonG nIGhT.
Autorin
Elke Brüns, habilitierte Literaturwissenschaftlerin, unterrichtet Neuere Deut-
sche Literatur an der NYU Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte: Formen des
Fantastischen, Dystopien, Armut und Literatur, Diskursanalyse, Gendertheorien,
Filmanalysen. Sie schreibt für verschiedene Tageszeitungen und analysierte vier
Jahre lang in einem Blog die kulturellen Repräsentationen von Armut.
Konkurrierende Interessen
Die AutorInnen haben keine konkurrierenden Interessen zu erklären.
Filmograe
Game of ThroneS. Idee: David Benioff und D. B. Weiss. US 2011–2019.
Game of ThroneS. S01E03: LorD SnoW. Regie: Brian Kirk, US 2011
Game of ThroneS. S03E03: WaLk of PunIShmenT. Regie: David Benioff. US 2013.
Game of ThroneS. S06E05: The Door. Regie: Jack Bender. US 2016
Game of ThroneS. S08E03: The LonG nIGhT. Regie: Michael Sapochnik. US 2019.
Game of ThroneS. S08E04: The LaST of The STarkS. Regie: David Nutter. US 2019.
Game of ThroneS. S08e06: The Iron Throne. Regie: David Benioff und D. B. Weiss.
US 2019.
hoW I meT Your moTher. Idee: Carter Bays und Craig Thomas. US 2005–2014.
LorD of The rInGS. Regie: Peter Jackson. NZ/US 2001–2003.
LoST. Idee: J. J. Abrams, Jeffrey Lieber und Damon Lindelof. US 2004–2010.
nIGhT auf The LIvInG DeaD. Regie: George Romero. US 1968.
The WaLkInG DeaD. Idee: Frank Darabont. US 2011– .
Ludograe
Game of Thrones. Studio: Telltale Games. US 2014.
Spiegel et al: Forum Game of Thrones 35
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How to cite this article: Spiegel, Simon, Daniel Illger, Sabrina Mittermeier, Michael
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Zeitschrift für
Fantastikforschung
8.1 (2020): 1–36. DOI: https://doi.org/10.16995/z.3018.
Published: 14 August 2020
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